INTERVIEW

Tanz, Trance, Ekstase und Heilung

Seit Jahrtausenden werden Tänze in allen Kulturen zur Heilung und Bewusstseinserweiterung verwendet. Janos Grimm hat aus verschiedenen archaischen und modernen Ansätzen die Form der freien Tanzrituale entwickelt – eine Einladung, die spirituelle und heilende Kraft des Tanzes auf spielerische Weise zu erfahren. David Rotter hat sich mit ihm unterhalten.

 

Janos, wie bist du zum Tanz gekommen, und was hat dich dabei inspiriert?
Seit meiner Kindheit habe ich mit freiem Tanz experimentiert, später hat mich vor allem der Butoh-Tanz aus Japan inspiriert – eine phantastische Mischung aus Spiritualität, Sinnlichkeit und Kreativität. Auch die fünf Rhythmen waren wichtig für mich. Im Moment inspirieren mich die Ansätze der School of Movement Medicine und die Traumkörperarbeit von Arnold Mindell. Von diesen Tanzformen habe ich eine Menge über die Kraft von Ritualen gelernt. Außerdem hat mich schamanisches Körpertheater geprägt. Da ich immer Lust ­habe, die schönen Dinge des Lebens weiterzugeben, habe ich all diese Erfahrungen zu einer eigenen Form zusammenfließen lassen. Daraus entstand dann das freie Tanzritual, das ich seit sieben Jahren anbiete.

So wie du Tanz angehst, scheint es eine Mischung aus Meditation, kreativer Körperarbeit, Trance und Heilarbeit zu sein. Was kann Tanz für dich?
Tanz kann alle Lebensaspekte kreativ verbinden. Alles, was mich im Leben ausmacht, sei es intellektuell, emotional, spirituell oder körperlich, fließt in meinen Tanz. Während des Tanzens kommen mir die klarsten Gedanken und Einsichten – ich tanze auch im Geist, weil auch da Bewegung und Freiheit entstehen. Durch das freie, improvisierte Bewegen werden meine Gefühle direkt erfahrbar und begreifbar. In der freien Bewegung komme ich an meine Grenzen und habe die Möglichkeit über vieles einfach hinwegzutanzen, mich auszudehnen. Das führt mich zu einer Spiritualität, die ich direkt, einfach und umfassend erleben kann. Am Ende so einer Session staunt mein ganzer Körper, weil er so sehr von meiner Seele durchtanzt ist.

Inwiefern ist das auch eine Art transformativer Körperarbeit?
Wenn ich dazu einlade, sich genau so zu bewegen, wie es sich richtig anfühlt, dann wird Tanz zu einer intuitiven Massage, die auf der körperlichen Ebene Blockaden löst oder mir genau zeigt, wo eigentlich der Schmerz sitzt. Tanz berührt den ganzen Menschen, also das gesamte Spektrum des Menschseins. Tanz ist selbstorganisierte Heilarbeit. Ich brauche keinen äußeren Heiler, ich lasse meinen Körper tanzen. Ich kann ganz im Sein ankommen, wenn ich in die stärksten Gefühle und die subtilsten Feinheiten tanze und dabei immer auf der Erde, im Schoß Gottes lande.

Was ist der Unterschied zwischen so einer Tanz-Arbeit und zum Beispiel Tanztherapie oder dem ekstatischen Tanz auf einem Konzert? Wie wichtig ist ein ritueller Rahmen?
Meine Tanz-Arbeit beruht auf Freiheit und Individualität, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Menschen brauchen mich nicht als Therapeuten, sondern als jemanden, der einen Freiraum öffnet und hält. Das ist, glaube ich, meine Gabe: einen Raum zu öffnen und zu halten, der sehr frei und sehr beschützt zugleich ist. An diesem Punkt wird klar, warum der rituelle Rahmen so wichtig ist. Er bietet den Halt, fördert den Fokus, intensiviert alles, weil Raum und Zeit zur Essenz verdichtet sind. Das hat ein unglaubliches Potenzial. In einem solchen Feld passiert dann von ganz alleine, was gut ist für den Einzelnen. Ich weiß nicht, was gut oder richtig ist für einen anderen Menschen, aber ich weiß, dass wir alle diese Mischung aus Freiheit und Frieden brauchen, um uns als Mensch zu entwickeln. In ­einem Raum, der wirklich frei ist, wird alles möglich.

Im Gegensatz zu anderen Tanz-Systemen scheinst du großen Wert darauf zu legen, dass so wenig Anleitung wie möglich passiert, und sprichst von ­einer „kreativen Intelligenz des ­Körpers“…
Ja, jeder Mensch trägt in sich selbst die Lösungen und Erlösungen. Es braucht Freiraum, um die eigenen Prozesse ins Fließen zu bringen. Wenn ich meinem Körper erlaube, frei zu sein, macht er alles ganz von alleine. Mein Ansatz steckt im Namen: Freies-Tanz-Ritual. Es geht um ein Tanz-Ritual, in dem mit Bewegungsfreiheit experimentiert werden kann. Mein Ansatz ist experimentell. Er arbeitet mit dem Unbekannten, mit der Überraschung. Das braucht Platz, ohne Vorherbestimmung. Hier geht es auch ums Spielen. Eine Spielwiese für Erwachsene. Ich lächle und frage: Wie weit kannst du gehen? Wie frei kannst du sein, willst du sein? Hier kannst du dich ausprobieren. Freiheit meint hier: frei zu sein, alles zu leben, was ich bin – gerade auch die Seiten in mir, die ich sonst verberge, die tabu sind, peinlich oder unzivilisiert.

Ist es gerade deshalb nicht aber auch manchmal wichtig, Menschen an die Grenzen ihrer Komfortzone zu bringen, sie herauszufordern, Dinge zu tun, die ihre Verhaltensmuster sprengen?
Hier kommt mit ins Spiel, dass Tanz eine Art Trancereise ist. Die Kraft der Trance birgt in sich selbst die Transformationskraft. Darauf vertraue ich – anstatt direkt die Leute zu pushen. Und klar, es braucht auch Trance-Induktionen: Es gibt einen inneren Raum in mir, der sehr frei ist. Irgendwie kann ich diese Energie in den gemeinsamen Raum geben. Das ist eine feine Kunst, das Ego, das uns blockiert, zu verzaubern. Die non-direktive Hypnotherapie Milton Erickssons hat mir da einiges gezeigt. Ohne dass ich einzelne Personen inhaltlich beeinflusse, spreche ich das Feste, das Kontrollierende, das Blockierende in ihnen an und lade es ein, loszulassen. Aber nicht als Unterweisung, sondern als Erinnerung, Einladung und nonverbale Ermutigung. So öffnet sich das Bewusstsein.

Wie wird denn diese Trance erreicht?
Trance hat ganz viel mit Loslassen zu tun. Mich einlassen auf das, was in mir lebt. Je mehr ich alles, was in mir lebendig ist, in die Bewegung, in die sinnliche Welt fließen lasse, um so intensiver wird die Trance. Nichts mehr planen und kontrollieren, einfach bewegen und bewegt werden, so rückhaltlos authentisch, dass ich mich bei dem, was da passiert, ruhig vergessen kann. Ich schaue nur zu, bezeuge mich, erlaube mir, ganz zu sein, ganz zu werden. Wenn ich völlig mit einer Erfahrung verschmelze, dann ist das eine ekstatische Erfahrung. Ich finde mich wieder, fühle mich verbunden mit etwas Größerem. Tanz ist für mich Spiritualität pur, ein wildes Gebet, ein Staunen mit dem ganzen Körper und der befreiten Seele darin.

Du sprichst gern von den Elementen und „elementaren Rhythmen“, deren Essenzen du bestimmten Phasen deiner Tanzrituale zuordnest. Ist das ein schamanischer Ansatz?
Die Arbeit mit den Elementen ist bionisch: Ich sehe Formen, Muster und Rhythmen in der organischen Natur. Ich erkenne das Elementare, Essenzielle darin und nutze es als Inspiration für die lyrische Sprache von Körper und Geist. Ich bin sehr fasziniert von der Tiefe und der Kraft, die in allem Archaischen, Ursprünglichen steckt. In den Tanzritualen wird diese Qualität gemischt mit der Frequenz der Freiheit unserer Zeit. Da bin ich gleichzeitig verbunden mit indigener Kultur und moderner Mentalität.

Was sind Bewegungsmantren und Körpermetaphern?
Im spontanen Ausdruck des Körpers während des Tanzens kommen immer wieder Gesten oder Formen, die eine besondere Qualität oder Tiefe haben. Sie transportieren intensive Gefühle, tragen eine besondere Geschichte in den Raum, an die Oberfläche. Diese Bewegungen aufzugreifen und sie zu wiederholen ist das Bewegungsmantra. Ich versenke mich durch die Wiederholung tiefer in die Geschichte, sehe Bilder, empfange Träume, Themen und entsprechende Atmosphären. Dann kann ich kreativ werden und mit dem Mantra arbeiten: Wie verändert sich die Bewegung, woher kommt sie, wohin führt sie mich, was steckt alles in der Bewegung und was dahinter?

Wie im Gedicht, ist die Metapher ein stilistisches Mittel. Tanzen ist Lyrik: Eine weiche, fließende Bewegung kann eine Körpermetapher sein für ein weich ­fließendes Gefühl, durch eine andere Bewegung wird mir eine bestimmte Angst verbildlicht – zum Beispiel: Das Leben zerrinnt mir durch die Finger, ich kann nichts festhalten, alles zerfließt. Ich kann das dann ganz konkret spüren und damit kreativ arbeiten, mich ­tanzend in dem Gefühl bewegen. Bewegungen verdeutlichen bildhaft – metaphorisch – meine Lebenszusammenhänge. Ich erlebe und begreife mich und meine Beziehungen im Leben durch dieses Sichtbarmachen von Innerem. Der Ausdruck im Tanz ist also eine Übersetzung von inneren mentalen, emotionalen und spirituellen Energien auf die sinnliche Ebene. Das Werkzeug ist mein Körper, das stilistische Mittel die Körpermetapher. So erkenne und begreife ich Dinge, die mich vorher im Inneren bewegt und bestimmt haben, die ich aber nicht erkennen oder verstehen konnte. Meine Bewegungen erzählen mir Geschichten.

Im Sommer machst du ein längeres ­Retreat namens „Tanz der Elemente“ – magst du beschreiben, was du da ­vorhast?
Die Menschen, die hier zusammenkommen, sind herzlich eingeladen, sieben Tage Natur pur zu erleben. Mir geht es um die Erfahrung kraftvoller, kreativer Gemeinschaft. Das wird erfüllt sein von verschiedenen Formen des Tanzens: Es geht in allem um das Erleben des Elementaren, eben der Elemente. Dafür benutze ich die Mischung aus freiem Tanz und verschiedenen Ritualen: zum Beispiel Feuerlauf und Schwitzhütte. Ein Lichtlabyrinth, in dem wir tanzen, ­Butoh-Tanz im Wasser, eine Long-Dance-Ceremony und Body-Painting.

Es geht auch einfach darum, die Schönheit der Natur zu bestaunen – auch die eigene Natürlichkeit – sinnlich und weit über das Sinnliche hinaus: Wir öffnen ein Feld zum Träumen und Transformieren. In den sieben Tagen werden auch andere aus meinem Team ihre Erfahrungen weitergeben. Ich bin kein Einzelgänger – Gemeinschaft ist mir wichtig, deshalb sind Gruppenprozesse integraler Bestandteil der ganzen Sache.

Das Interview führte David Rotter (SEIN online)

Autoren Info

Janos Grimm

verbindet verschiedene Ansätze aus den Subkulturen des Tanzens, wie Butoh, fünf Rhythmen, und anderen archaischen und modernen Tänzen, welche die Aufmerksamkeit auf elementare und kreative Erlebnisformen legen. Aus den weiten Dimensionen der Philosophie und der Psychologie sprudelt ein immer neues Interesse für erweiterte Bewusstseinszustände, für Träume, für Trance und Ekstase, die in unserer Welt hier und jetzt lebbar sind.